UfU Informationen | Ausgabe 14 – Juni 2025 | Dr. Michael Zschiesche

Was wird aus der sozial-ökologischen Transformation?

Eine Diskussionsanregung

Bis 2020 war nicht alles in Butter in Sachen Gerechtigkeit und Ökologie. Aber es gab eine gewisse Hoffnung. Diese hieß in Deutschland „sozial-ökologische Transformation“. Gewiss, dieser sperrige, eher nach Formalin als nach dem Kaffee am Morgen duftende Begriff, löst keine Begeisterung aus. Aber zumindest im Jahr 2020 schien es so, dass die Kräfte, die durch globalen Klimaschutz die Welt insgesamt auch ein bisschen gerechter machen wollten, wachsen würden. Und mit Ihnen auch der Optimismus, dass der Weg zwar mühsam werde und eher in Sisyphosschrittfolge als im Sprinttempo absolviert würde, aber er könne ein Weg sein.

Auf die sozial-ökologische Transformation bezogen sich immer mehr gesellschaftlich und politisch relevante Akteure. Vorne weg der überwiegende Teil der umweltrelevanten Zivilgesellschaft mit Fridays for Future und seinen Nebengruppen Teachers for Future, Parents for Future und andere. Wissenschaftliche Institute, Universitäten, die Gewerkschaften, die Kirchen, die Sozialverbände – sie alle unterstützen diese sozial-ökologische Transformation. Und auch immer mehr politische Akteure. Die Parteien Bündnis90/Die Grünen, die SPD sowie die Linken übernahmen die sozial-ökologische Transformation in ihre Programmatik. Sogar Teile der CDU/CSU mit ihrer KlimaUnion und Teile der FDP näherten sich dem Begriff, wenn auch in gebotenem Abstand zu den drei erstgenannten politischen Kräften. Eine der einflussreichen Parteien in Deutschland, die AfD, lehnte die sozial-ökologische Transformation von Anfang an rigoros ab.

Doch trotz der hohen Diffusion des Begriffs der sozial-ökologischen Transformation, die Bundesregierung 2021 verstand sich eher als „Fortschrittskoalition“. Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit waren die tonangebenden Schlagworte. Das Label Regierung der sozial-ökologischen Transformation haben ihr andere angeheftet. Und was noch wichtiger ist, die breite Bevölkerung in Deutschland kann bis heute wenig mit Transformation und noch weniger mit sozial-ökologisch anfangen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Notwendigkeit über den Wandel und die Art und Weise der tatsächlichen Umsetzung einer solchen Transformation unklar sind und mit vielen Sorgen und Abstiegsängsten verbunden sind. Es stellt sich also die Frage: Ist die sozial-ökologische Transformation bereits gescheitert?

Fragt man nach dem eigentlichen Kern der sozial-ökologischen Transformation, wird man sehr viel Verschiedenes finden, vom ambitionierten gesellschaftlichen Konzept für einen Wandel ebenso wie eine Art Fortsetzung beliebiger Nachhaltigkeitsdiskussionen ohne gesellschaftliche Wirksamkeit. Sich die Dimension der ambitionierten Variante der sozial-ökologischen Transformation deutlich zu machen, kann verstörend sein. Das Zielelement fossilfreie oder kohlenstoffarme Gesellschaft bzw. Wirtschaft als zukünftige Voraussetzung und Basis für moderne Gesellschaften ist recht klar und eindeutig. Das Konzept der Einhaltung der planetaren Grenzen ist zumindest aus logischer Sicht kaum anzuzweifeln. Schwieriger kann es für manche sein, den Wandel hin zu mehr sozial-ökologischer Gerechtigkeit als Zielgröße zu benennen und dann auch als Wandel zu mehr Gerechtigkeit zu organisieren. Also die soziale Dimension der sozial-ökologischen Transformation. Gerechtigkeit wird gemeinhin sowohl wissenschaftlich konzeptionell als auch umgangssprachlich sehr unterschiedlich verstanden. Dennoch gibt es einen rationalen Kern, was man als gerecht oder nicht gerecht empfindet. Für das Projekt der sozial-ökologischen Transformation bedeutet das schlicht: in einer Welt, die ungerecht organisiert ist, muss Einigen etwas weggenommen werden, um es anderen geben zu können. Das gilt gleichermaßen für Einzelne, wie für Institutionen, Unternehmen oder Staaten. Vielleicht haben daher diejenigen, denen sehr viel gehört und die sehr viel besitzen und möglichst morgen und übermorgen noch mehr davon, in den letzten Jahren Angst hinsichtlich der sozial-ökologischen Transformation bekommen, dass es in den kommenden Jahren nicht nur um technologische Anpassungen (z.B. der Green New Deal der EU) der Wirtschaft gehen wird, sondern um eine grundlegend andere, gerechtere Verteilung aller Güter dieser Erde. Das Thema ist komplex und es ist nicht immer sicher, ob die sozial-ökologische Transformation dieser Komplexität auch ausreichend sowohl konzeptionell als auch hinsichtlich der Organisation der Interessen gerecht wird. Um die Frage nach dem Scheitern der sozial-ökologischen Transformation zu beantworten, lohnt es sich, die letzten Jahre in Deutschland einmal genauer anzuschauen und auszuwerten. In diesem Zusammenhang werde ich sieben Thesen vorstellen, die als Diskussionsgrundlage für die eigene Evaluation der Lage um die sozial-ökologische Transformation dienen können.

  1. Die Geschichte der sozialen Bewegungen in Deutschland und weltweit ist die Geschichte von harten und teilweise unerbittlichen Kämpfen um mehr Einfluss und Macht. Denn die Welt ist per se weder gerecht noch ist sie sozial. Auch nicht in Deutschland. Und das Eigentliche. Die Ungerechtigkeit nimmt eher zu. Trotz Grundgesetz, guter Absichten linker Parteien und aktiver Zivilgesellschaft. Gute Argumente, das zu ändern sind immer wichtig. Aber sie allein verhallen, wenn es darum geht, eine Gesellschaft gerechter und ökologischer zu justieren. Es ist geradezu naiv zu denken, die Einsicht zur Umkehr bei denen, die bislang von Ungerechtigkeit profitiert haben, würde durch Argumente immer stärker wachsen, so dass man zwangsläufig eine bessere sozial-ökologische Gerechtigkeit erzeugen könne.
  2. Die starke Gegnerschaft, die in den letzten Jahren progressive Parteien und Bewegungen erfahren haben, sind Ausdruck dessen, dass die Frage des sozial-ökologischen Wandels die einzige sinnvolle Veränderung der Gesellschaften weltweit ist und damit zugleich eine Gefahr für bestehende Verhältnisse. Der WBGU hat 2011 in seinem Gutachten zur Großen Transformation von Transformationsblockaden gesprochen, die auf dem Weg zu einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ überwunden werden müssten. Selbst der Krieg, den Putin 2022 gegen die Ukraine anzettelte und den der einflussreiche Politologe Herfried Münkler von der Humboldt Universität in Berlin als Versuch versteht, der fortschreitenden Demokratisierung im Osten Europas durch Gewalt etwas entgegen zu setzen, könnte bei noch etwas stärkerer Konsequenz des Gedankens auch als Versuch verstanden werden, sozial-ökologischen Fantasien des gesellschaftlichen Wandels ein für alle Mal einen Riegel vorzuschieben. Wo kämen wir hin, wenn Männer wie Robert Habeck den Ton in der Welt angeben würden und nicht Donald Trump, gegen den man aufgrund seiner liederlichen Moral belastendes Material ohne Ende im Kreml in der Schublade oder in den russischen Rechenzentren vorhält.
  3. Darauf zu vertrauen, dass laut Befragungen große Teile der Bevölkerung tiefgreifende Änderungen in der Gesellschaft tatsächlich mittragen und dann auch mitgehen, ist zum Scheitern verurteilt. Es gilt der Spruch von Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Menschen müssen wissen, wofür sie etwas ändern sollen. Und es braucht Verheißungen. Positiv empfundene Ziele. Sozial-ökologische Transformation ist erst mal nichts davon. Weder Verheißung noch Klarheit in der Richtung. Kevin Kühnert, der ehemalige Generalsekretär der SPD hat es bei Markus Lanz im September 2021 so ausgedrückt: „Wir haben in Deutschland keine Sprache für die Klimakrise.“ Und weiter: „Wir sind in einer Gesellschaft, in der Menschen aus materiellen, ökonomischen Erwägungen heraus politische Entscheidungen treffen.“ Was aus Kühnerts Worten deutlich wird, ist die Kluft zwischen der Analyse, das Notwendige zu tun und den Möglichkeiten der politischen Akteure, das Notwendige umzusetzen, wenn sie wiedergewählt werden wollen. Zumal in Gesellschaften, die vom demokratischen Kompromiss leben (müssen). Was könnte also Menschen in Demokratien bewegen, in der sozial-ökologischen Transformation einen (persönlichen) Gewinn zu erkennen?
  4. Neben der Notwendigkeit, die Welt strukturell sozial-ökologisch gerechter umzugestalten, läuft das Programm der Digitalisierung und nunmehr auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) am Ende wohl darauf hinaus, die gesellschaftlichen Verhältnisse eher für Wenige umzugestalten als der Mehrheit der Menschen zu dienen. KI unter heutigen Verhältnissen bedeutet daher den Einstieg in eine neue Unmündigkeit. Wie unter diesen Umständen sozial-ökologischer Wandel und gerechtere Gesellschaften entstehen können, die Mündigkeit und Urteilsfähigkeit voraussetzen, bleibt allein gedanklich ein schwer vorstellbares Projekt.
  5. Interessant ist, wie stark sich die AfD mit der sozial-ökologischen Transformation beschäftigte. Aus der großen Anfrage der AfD zur sozial-ökologischen Transformation, mit der sich dann sogar das Bundeskabinett 2023 beschäftigte, geht durch den ausführlichen Vorspann der eigentlichen Fragen zunächst erst einmal hervor, wie stark das Wirtschaftsministerium unter einem grünen Wirtschaftsminister die sozial-ökologische Transformation voran trieb und in welchen Programmen und Gesetzen sie diesen Ansatz verfolgte. Aber spannend ist auch zu sehen, mit welchen Fragen sich die AfD zur Interessenvertretung deren aufschwang, die die weltweiten Probleme aus der Überschreitung der planetaren Grenzen ignorieren wollen. So lautet Frage Nr.2 der AfD: Welche empirischen Belege liegen der Bundesregierung vor für ihre Behauptung, dass „die planetaren Grenzen bisher in den marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungen nicht ausreichend berücksichtigt“ (JWB [JWB= Jahreswirtschaftsbericht] 2022, S. 13) wurden? Eine gleichermaßen spannende wie zentrale Frage. Denn sie verdeutlicht, die AfD hat erkannt, sozial-ökologische Transformation ist ein ernst gemeinter Wandel hin zu wirtschaftlich gerechteren Strukturen. Die Gegner der Transformation sind also alarmiert. Eine weitere Frage, die die Angst vor dem materiellen Abstieg in Deutschland beinhaltet, lautet: „Was meint die Bundesregierung konkret, wenn sie schreibt, dass sich die Art und Weise, wie Menschen in Deutschland zukünftig leben und wirtschaften, tiefgreifend verändern“ wird (JWB 22, S. 28)? In der Tat, hier ist ein rational relevanter Kern, der unabhängig von der AfD zu beantworten ist, angesprochen. Wie will man in der Breite den Menschen in Deutschland erklären, dass die Transformation persönliche und gesellschaftliche Vorteile erzeugt? Das ergibt sich jedenfalls nicht von allein und die Gegnerschaft ist – siehe Große Anfrage – politisch bereits extrem gut organisiert.
  6. Um sich die Dimension der sozial-ökologischen Transformation bewusst zu werden und auch überzeugend zu wirken, genügt es nicht, sich nur in seiner eigenen „Blase“ zu bewegen. Argumente und Selbervergewisserung müssen erprobt und unter Beweis gestellt werden. Am besten bei denjenigen die die Grünen und die grüne Bewegung hassen. Es ist sicher kein Zufall, dass in Deutschland Diskussionen um die Work-Life-Balance, die Vier Tage Woche und überhaupt möglichst viele Komfortzonen gerade auch in dieser Blase stattfinden. Vermutlich gehen da illusionäre Vorstellungen aufgrund fehlender Reibung Hand in Hand mit dem Stand der Bewegung.
  7. Und die letzte These: Sollte die politische Konstellation es in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten noch einmal ermöglichen, dass eine Regierung sozial-ökologische Reformen zum Angelpunkt ihrer Politik macht, braucht es eine bessere Kommunikation mit der Bevölkerung und handwerklich bessere und klarere Programme und Gesetze.

Dr. Michael Zschiesche ist seit über 30 Jahren am UfU beschäftigt, ist Geschäftsführer des UfU und Fachgebietsleiter für Umweltrecht & Partizipation.