UfU Informationen | Ausgabe 14 – Juni 2025 | Redaktion

Vorwort der Redaktion

Liebes UfU Mitglied, liebe Freunde des UfU,

es ist Sommer geworden. Wie gut tun in diesen Zeiten die Sonnenstrahlen auf der Haut, die länger ausgedehnten Spaziergänge ohne Winterjacke und das Arbeiten bei geöffnetem Fenster. Das Erwachen der Natur, das Sichten von kleineren und größeren Tieren und das Erblühen der Pflanzen ist für Naturliebhaber jedes Jahr aufs Neue ein kleines Wunder.

Und doch tobt die Welt um uns herum. Fast stündlich scheint etwas zu passieren. Die Eilmeldungen in Zeitungen überschlagen sich. Geflutet von Nachrichten über Zölle, Aktienkurse, den Koalitionsvertrag, die Wehrpflicht, Verhandlungen in der Ukraine oder den Austritt Ungarns aus dem internationalen Strafgerichtshof ist es für viele Menschen schier unmöglich, diese Meldungen aufzuarbeiten, einzuordnen und sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen.

Selbiges gilt für uns als Verein und andere Institute. Im Wochentakt gibt es Ereignisse, zu denen wir als Institut Stellung beziehen müssten. Seien es die Angriffe der CDU auf die Vereine, Pläne das Umweltinformationsgesetz (UIG) oder das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu ändern oder aber die laut Koalitionsvertrag vorgesehene Aufhebung der Verbandsklage.

Die Zeit, sie scheint zu rasen.

Um der Komplexität vieler Themen gerecht zu werden, bräuchte es mehr Zeit, mehr emotionale Stabilität und gute Journalist*innen mit Zeit für eine tiefe und sachliche Recherche. Um die mögliche Wiedereinführung einer Wehrpflicht, die potentiellen Auswirkungen von Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen oder den neuen Koalitionsvertrag und seine Bedeutung wirklich zu verstehen, ist all dies vonnöten. Doch genau diese sachliche Bewertung des Weltgeschehens fällt vielen Menschen und auch uns aktuell schwer. Zu schnell passieren zu viele Dinge und sogleich meldet das Handy die nächste Eilmeldung. Wie kann in dieser Welt der Informationsüberflutung noch ein klarer Kopf bewahrt werden?

Vorerst hilft es zu wissen, dass diese schnellen Umwälzungen, die zum Teil abrupt erscheinenden großen Entscheidungen, die 180 Grad Wenden in der Politik, System haben. Es handelt sich nicht nur um ein Gefühl, dass alles viel zu schnell geht, wenn wir angesichts von Entscheidungen wie der Zerschlagung von USAID oder der plötzlichen Kehrtwende von Friedrich Merz in der Schuldenpolitik überfordert sind, sondern um politisches Kalkül. Zwei Strategien sind hier hauptsächlich zu nennen:

Erstens: Flood the Zone. Diese Strategie, welche als Überflutungsstrategie übersetzt werden kann, wird insbesondere von Trump und seinen Gefolgsleuten verfolgt. Inhalt dieser Strategie ist es, jeden Tag so viele neue Vorhaben, Dekrete und Änderungen zu verkünden, dass eine schlichte Überforderung bei Medien, Gesellschaft und dem politischen Gegner entsteht. Gravierende Aktionen wie der Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation, die Zerschlagung von USAID oder das Einführen von Zöllen folgen so kurz aufeinander, dass eine konstruktive Kritik an diesen Entscheidungen unheimlich schwierig wird. Der politische Gegner und die Zivilgesellschaft verfallen in eine Art Schockstarre. Denn schon im nächsten Moment entsteht die nächste Schlagzeile und die Nächste. Dabei ist vorher kalkuliert, dass ein bestimmter Prozentsatz an Vorhaben gar nicht verwirklicht wird oder vor Gerichten scheitert. Doch durch die gezielte Überforderung können einige Vorhaben durchgesetzt werden, welche bei genauerer Betrachtung mehr Widerstand provozieren würden.

Zweitens: Die Schock-Strategie. Naomie Klein beschreibt die Schockstrategie in ihrem gleichnamigen Buch als eine Strategie, mit welcher Regierungen externe Schocks nutzen, um tiefgreifende, meist neoliberale Reformen durchzusetzen. Anhand von historischen Beispielen zeigt sich, dass große Krisen wie Kriege, Naturkatstrophen oder Wirtschaftskrisen von Regierungen genutzt werden, um Veränderungen durchzusetzen, die unter anderen Umständen nicht mehrheitsfähig wären. Die Idee dahinter: Die eigene Bevölkerung leistet in Zeiten von großen Krisen weniger Widerstand gegen tiefgreifende Veränderungen. Daher sind sie der ideale Zeitpunkt um tiefgreifende Maßnahmen umzusetzen. Damit einher geht, dass die Reformen meist so schnell „durchgepeitscht“ werden, dass sie sich der demokratischen Kontrolle der Zivilgesellschaft entziehen. Hier lassen sich einige Parallelen zur deutschen Politik in den letzten Monaten ziehen. Ein Beispiel wäre die Entscheidung, 500 Milliarden Euro Schulden für die Landesverteidigung und Infrastruktur aufzunehmen. Zwar lässt sich dagegenhalten, dass staatliche Ausgaben für Militär und Infrastruktur unter Umständen nicht in eine neoliberale Agenda passen, das Prinzip der Schock-Strategie bleibt jedoch bestehen. Ein Friedrich Merz, welcher noch im Wahlkampf beteuerte, dass es mit ihm keine neuen Schulden geben würde, nutzt die Zeit zwischen der Wahl und der Bildung eines neuen Parlaments, um im Windschatten der größten transatlantischen Krise seit der Widervereinigung ein gigantisches Schuldenpaket aufzunehmen. Dabei ist es unerheblich, wie wir persönlich zu dieser Maßnahme stehen. Die Analyse greift trotzdem. Zwischen der Bekanntmachung des Vorhabens und der Verabschiedung liegen gerade einmal 14 Tage. 14 Tage für die historisch größte Einzelmaßnahme zur Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik. In der öffentlichen Diskussion wurde dabei mitunter vergessen, dass mit der Entscheidung über das Sondervermögen auch gleich die Schuldenbremse reformiert wurde. Ausgaben für Militär, Katastrophenschutz und Nachrichtendienste fallen in Zukunft nicht mehr unter das Neuverschuldungsverbot, wenn sie über einem Prozent des BIP liegen. Leicht lassen sich weitere Beispiele, wie die gemeinsame Abstimmung der CDU mit der AfD über die Zurückweisung von Asylsuchenden an deutschen Grenzen, kurz nach dem Messerattentat von Aschaffenburg finden. Für die Zivilgesellschaft ist es kaum möglich in solchen Zeiten Stellung zu beziehen, das Pro und Contra einer solchen Maßnahme abzuwägen, mit den Abgeordneten aus ihrem Wahlkreis Kontakt aufzunehmen oder einfach nur verschiedene Berichterstattungen zu dem Thema zu lesen, um sich eine fundierte Meinung zu bilden.

Wie kann man als Einzelner in einer solchen Zeit, in welcher sich die Politik der Schockstrategie und der Flood the Zone Strategie bedient, umgehen? Die Zeit riet kürzlich in einem Artikel dazu, sich feste Medienzeiten einzurichten. Man solle, anstatt mehrmals am Tag den Newsticker zu lesen, lieber zu festen Zeiten Nachrichten konsumieren. Auch hilft es, eher Wochenzeitungen oder einer monatlichen Zeitschrift zu folgen und sich im eigenen Medienkonsum bewusst zu beschränken. Tatsächlich scheint es wenig sinnvoll jede Phase des Handelskrieges mehrmals täglich mitzuverfolgen. So setzt man zumindest der Flood the Zone Strategie als Privatperson etwas entgegen.

Für unser Institut stellt sich diese Frage ebenfalls. Wie sollen wir auf die zahlreichen Forderungen, Ankündigungen und Schlagzeilen reagieren? Wieso überhaupt eine Stellungnahme sorgsam vorbereiten, wenn diese doch bereits am nächsten Tag durch eine neue Schlagzeile zur Makulatur geworden ist, beziehungsweise Politik so schnell voranschreitet, dass wir kaum noch reagieren können? Auch für Institute kann es sinnvoll sein, sich dieser oben erwähnten Strategien bewusst zu sein und dementsprechend einzuordnen. Wir springen nicht über jedes Stöckchen, dass man uns hinhält, sondern wägen klar ab, welche Meldung, welches Vorhaben, welche Forderung direkte Stellungnahmen erfordern und welche auf Dauer wenig Bestand haben werden. Denn manches ist einfacher formuliert, als umgesetzt. Auf der anderen Seite haben Verbände und Institute wie das UfU oft überhaupt keine andere Wahl, als ständig zu beobachten und so schnell es geht Stellung zu beziehen. Insbesondere Angriffe auf die Zivilgesellschaft nehmen stark zu. Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen werden zunehmend als Sand im Getriebe wahrgenommen und nicht als kritische Öffentlichkeit, welche ebenfalls die Bevölkerung und Wähler*innen repräsentiert. Aktuell besteht die Gefahr, dass die Zivilgesellschaft Schritt für Schritt entmachtet wird, dass die Umweltgesetze Schritt für Schritt entkernt werden, dass Gelder für Schul- und Bildungsprojekte Schritt für Schritt gekürzt werden, ohne dass eine wirkliche Gegenwehr entsteht. Zu groß ist die tägliche Überflutung mit Nachrichten. So sind wir teilweise dazu gezwungen zu reagieren, einzuordnen, zu hinterfragen und als Korrektiv notfalls auch Widerstand zu leisten, bevor es zu spät ist. In einer Zeit, welche uns und andere Organisationen vor immer größere Probleme bezüglich unserer Finanzierung stellt, ist dies nicht mehr einfach umgesetzt. Zahlreiche Gelder werden gekürzt, Förderschienen fallen weg, Projekte sind gestoppt. Umso wichtiger ist es, dass die zivilgesellschaftlich arbeitenden Institutionen Rückendeckung und finanzielle Unterstützung durch die Bevölkerung erhalten. Die zahlreichen Umweltorganisation in Deutschland vereinen mehr Mitglieder auf sich, als die Bundesparteien zusammen. Sie repräsentieren also einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung, welcher in Umwelt- und Naturschutz keine Option, sondern eine absolute Notwendigkeit sieht. Insbesondere die kleinen Vereine und NGOs benötigen jetzt dringend Unterstützung. Mit kleinen Mitgliederzahlen und geringem Spendenaufkommen sind diese Vereine besonders bedroht. Auch beim UfU sind zahlreiche wichtige Förderschienen weggefallen. Unser großes Projekt zur Stärkung der Zivilgesellschaft wurde nicht mehr verlängert. Unser mehrfach ausgezeichnetes Projekte KlimaVisionen, in welchem wir mit über 80 Schulen in Berlin an der Klimaneutralität arbeiten, steht auf der Kippe. Sterben die kleinen Vereine, ist die Landschaft der Zivilgesellschaft um Einiges ärmer geworden. Gerade die Vielfalt der aktuellen Umweltbewegung und die Spezialisierung der verschiedenen Institute auf besondere Themenfelder machen es möglich, dass breite Felder des Umwelt- und Naturschutzes abgedeckt werden. Die Zivilgesellschaft befindet sich in der Krise. Es liegt an uns allen, sie wieder zu beleben, zu stärken und als demokratische Kontrolle gegenüber einer lauteren und schnelleren Welt in Stellung zu bringen.

Jonas Rüffer
Redaktionsleiter