UfU Informationen | Ausgabe 9 – Juli 2023 | Niklas Müller, Larissa Donges

Umwelt(un)gerechtigkeit in Berlin

Umweltbelastungen treffen Neukölln härter als Steglitz-Zehlendorf

Es wird immer heißer in der Hauptstadt. Im Jahr 2020 war Berlin mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 11,4 °C das wärmste Bundesland. Im Vergleich zu den Jahren von 1971 bis 2000 wird die durchschnittliche Tageshöchsttemperatur bis 2060 um bis zu 1,9 °C steigen.[1] Diese Temperatursteigerung erhöht die Wahrscheinlichkeit von Hitzesommern und Starkregenereignissen. Allerdings sind die einzelnen Bezirke und Einwohner*innen in Berlin unterschiedlich stark betroffen. Deswegen hat die Stadt in Bezug auf Klimaanpassung und Umweltgerechtigkeit noch einen langen Weg vor sich.

Das Konzept der Umweltgerechtigkeit strebt an, gesundheitsrelevante Umweltbelastungen wie Lärm, Hitze oder Luftschadstoffe in sozial benachteiligten Quartieren und Wohnlagen zu vermeiden oder abzubauen sowie ihren Bewohner*innen zur Entlastung den Zugang zu Umweltressourcen wie Grün-, Wasser- und Freiflächen zu ermöglichen.[2] Als Begründung wird u.a. erwähnt, dass eine kontinuierliche Lärmbelastung Herzerkrankungen oder Schlafstörungen hervorruft und eine erhöhte Feinstaubelastung zu einem frühzeitigen Tod führen kann. Gesundheitsrelevante Umweltbelastungen abzubauen fördert somit nicht nur die individuelle Gesundheit einzelner, sondern reduziert auch die Kosten der Krankenkassen und folglich die allgemeinen Kosten für die Gesellschaft. Umweltbelastungen und
-ressourcen sind in den meisten Städten jedoch ungleich verteilt. So sind einige Stadtteile aufgrund verkehrsbelasteter Straßen und hochverdichteten Gebäudebestands durch Luftverschmutzung, Lärm und Hitze gleich mehrfach belastet. Andere Bezirke zeichnen sich hingegen durch ruhige und grüne Wohngegenden aus, in denen Lärm und Luftschadstoffe die Gesundheit der Menschen weniger oder gar nicht beeinträchtigen und Grünflächen für alle fußläufig zu erreichen sind.[3]

Um die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bezirken abbilden zu können, hat die Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) als erste deutsche Stadt im Jahr 2019 den Basisbericht Umweltgerechtigkeit veröffentlicht. Dieser wurde 2022 aktualisiert und als Berliner Umweltgerechtigkeitsatlas herausgegeben.

Anhand der fünf Kernindikatoren Luftschadstoffe, Lärmbelastung, Bioklimatische Belastung (Hitze), Soziale Problematik und Grünflächenversorgung macht er die Umweltgerechtigkeit in Berlin messbar. Dabei schneidet Steglitz-Zehlendorf mit am besten ab. Der Bezirk weist relativ niedrige bis gar keine Umweltbelastungen bei fast allen Kernindikatoren auf, was in Abbildung 1 anhand der gelben bzw. grünen Flächen zu erkennen ist. Außerdem ist die Versorgung mit grün-blauer Infrastruktur sehr gut.[4] Unter dem Begriff werden zum Beispiel Parks, Gründächer, Fassadenbegrünungen sowie Seen und Flüsse zusammengefasst. So machen Vegetation und Gewässer 35,5 Prozent der Fläche aus und viele Einwohner*innen besitzen einen eigenen Garten. Allein ein Viertel der Fläche ist bewaldet. Damit ist der Bezirk einer der grünsten Berlins[5] und lässt vermuten, dass Umweltbelastungen mit steigender Dichte an Grünflächen abnehmen. Der Norden Neuköllns hingegen ist hochverdichtet und weist in einigen Gebieten bei drei bis fünf verschiedenen Kernindikatoren Umweltbelastungen auf. Zu erkennen ist dies an den dunkelorangen und dunkelroten Flächen in Abbildung 1.[6] Des Weiteren fehlt es an ausreichend grün-blauer Infrastruktur. Zwar sind 21 Prozent der Fläche des Bezirks Sport-, Freizeit- und Erholungsflächen aber nur 3 Prozent Gewässer und Vegetation.[7]

Abbildung 1: Integrierte Mehrfachbelastungskarte Umwelt und soziale Benachteiligung (SenMVKU, 2022)

Doch der fehlende Zugang zu Umweltressourcen ist nicht das einzige Hindernis Neuköllns auf dem Weg zu mehr Umweltgerechtigkeit. Der Bezirk weist neben Mitte die höchste Ausprägung bei der sozialen Benachteiligung auf. Diese wird aus den Indikatoren Arbeitslosigkeit, Kinderarmut und Transferbezug der Nichtarbeitslosen berechnet.[8] Gleichzeitig ist der dicht bebaute Norden, in dem ein Großteil der Bevölkerung lebt, bei zwei oder mehr Kernindikatoren des Umweltgerechtigkeitsatlas von einer starken Belastung betroffen. Dies verdeutlicht, dass Menschen, die nahe des Zentrums leben und sozial benachteiligt sind, überproportional häufig Mehrfachbelastungen wie Lärm, Luftverschmutzung und Hitze ausgesetzt sind. Dadurch sind sie in Bezug auf Umweltqualität, Gesundheit und soziale Lage in besonderem Maße benachteiligt,[9] wodurch das Sterbealter in sozial benachteiligten Quartieren bis zu sechs Jahre unter dem städtischen Durchschnitt liegt.[10] So landet Neukölln beim Gesundheits- und Sozialindex der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege (SenWGP) 2022 auf dem letzten Platz. Der Bezirk weist zum Beispiel eine der höchsten Arbeitslosenquoten und eine der niedrigsten mittleren Lebenserwartungen auf. Steglitz-Zehlendorf hingegen ist der Bezirk mit den geringsten sozialen und gesundheitlichen Belastungen und hat den niedrigsten Anteil an Wohnungen in einfacher Wohnlage.[11] Diese beschreibt Gebiete im inneren Stadtbereich, die überwiegend stark verdichtet sind und nur sehr wenige Grün- und Freiflächen aufweisen.[12]

Der Berliner Umweltgerechtigkeitsatlas ist jedoch nur eine Bestandsaufnahme, der konkrete Maßnahmen zur Gewährleistung von Umweltgerechtigkeit folgen müssen. Eine davon ist der Ausbau städtischer Grün- und Freiräume, die als Erholungsflächen zu einem gesunden Leben der Bevölkerung beitragen, indem sie Umweltbelastungen wie Hitze, Luftverschmutzung und Lärm reduzieren.[13] Zum Beispiel dienen Fassadenbegrünungen und Gründächer Gebäuden zur Isolierung und reduzieren die Kosten für Klimaanlagen im Sommer sowie für Heizungen im Winter. Straßenbäume und Parkanlagen kühlen wiederum im Sommer die Stadt, indem sie Schatten spenden und der Umgebung durch Transpiration[14] Wärme entziehen. In einem Einfamilienhaus mit Garten in Steglitz-Zehlendorf lässt sich ein heißer Sommertag also besser ertragen als in einer Dachgeschoss Wohnung im Norden Neuköllns. Des Weiteren reduzieren Grünanlagen das Risiko von Überschwemmungen, da sie Regenwasser durch Versickerung besser speichern können als versiegelte Flächen wie Straßen oder Parkplätze. Demnach wird ein Keller in Steglitz-Zehlendorf bei Starkregen weniger wahrscheinlich volllaufen als einer im Norden Neuköllns. Durch die Klimakrise nimmt die Wahrscheinlichkeit für Hitzewellen und Starkregenereignisse in den nächsten Jahren immer weiter zu. Deswegen ist der Ausbau Grüner Infrastruktur in dicht besiedelten Kiezen wie im Norden Neuköllns für die Klimaanpassung Berlins von entscheidender Bedeutung.

Mit Grün unterversorgte und sozial benachteiligte Wohngebiete müssen aus diesem Grund in der Stadtplanung und Bauleitplanung zukünftig als räumliche Handlungsschwerpunkte festgelegt werden. Außerdem sollte die Bauleitplanung auf die Sicherung der Luftqualität abzielen und dafür sorgen, dass beispielsweise Industrieanlangen in Wohngebieten vermieden werden. Die Stadtplanung sollte also gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewährleisten, indem Indikatoren wir bauliche Dichte, Besonnung und Belüftung mitgedacht werden.[15] Zum Beispiel fördern zusammenhängende, hindernisfreie Gebiete vom Umland bis ins Stadtgebiet, sogenannte Frischluftschneisen wie die Spree und das Tempelhofer Feld, im Sommer den Luftaustausch und die Kühlung der Stadt. Demnach sollten vorhandene Frischluftschneisen auf jeden Fall beibehalten und neue geschaffen werden. Dabei dürfen aufkommende Zielkonflikte wie der Ausbau bezahlbaren Wohnraums aufgrund des akuten Wohnungsmangels natürlich nicht außer Acht gelassen werden.

Zur Verminderung der Lärmbelastung und dem Schutz ruhiger Gebiete dienen Lärmaktionspläne wie der Berliner Lärmaktionsplan 2019-2023, die auf Basis einer Lärmkartierung und der Beteiligung der Öffentlichkeit konkrete Maßnahmen entwickeln. Dazu zählen die Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, der Einbau lärmoptimierter Fahrbahnoberflächen sowie längerfristige Ansätze zur Mobilitätswende. Letzteres ist auch eine effektive Klimaschutzmaßnahme, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Zum Beispiel fällt der Umstieg vom Auto auf das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel deutlich einfacher, wenn der Ausbau von Fahrradwegen und des öffentlichen Nahverkehrs dem Bau einer neuen Autobahn vorgezogen wird. Letztlich gibt es von Seiten der Stadt einige weitere Bestrebungen die Umweltgerechtigkeit in Berlin zu fördern. Dazu werden zum Beispiel in dem Luftreinhalteplan für Berlin, der Charta für das Berliner Stadtgrün oder dem Aktionsbündnis Hitzeschutz Maßnahmen zur Reduzierung von Luftverschmutzung, Förderung grüner Infrastruktur und Vorbereitung von Gesundheitsakteur*innen auf Hitzewellen erläutert.

Mit dem Umweltgerechtigkeitsatlas ist Berlin den ersten Schritt in eine umweltgerechtere Zukunft gegangen. Doch das Ziel bleibt in weiter Ferne. Deswegen arbeitet das UfU derzeit an einem Praxisleitfaden zur Umsetzung von Umweltgerechtigkeit in Berliner Quartieren mit dem Ziel, die konkreten Bedarfe und Erfahrungen der Quartiersmanager*innen in benachteiligten Bezirken aufzugreifen und sie bei der Förderung von Umweltgerechtigkeit zu unterstützen. Anfang Mai lud der Kongress „Umweltgerechtigkeit im Quartier – Vernetzt und partizipativ Zukunft gestalten“ außerdem Vertreter*innen aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft, Forschung und Praxis ein, sich rund um das Thema Umweltgerechtigkeit in Berlin auszutauschen und Schnittstellen künftiger Zusammenarbeit auszuloten. Der hybride Kongress wurde vom UfU und dem BUND Berlin organisiert und von der SenMVKU gefördert, ebenso wie der Praxisleitfaden. Zuletzt lässt sich noch sagen, dass in Umweltgerechtigkeit das Wort „Recht“ steckt. Doch Rechte sind nur so stark wie ihre Umsetzung. Aus diesem Grund müssen der regen Diskussion über Umweltgerechtigkeit in Berlin nun auch konkrete Taten folgen.

Referenzen

[1] Auswirkungen des Klimawandels, In: Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, 2023

[2] Bolte, Gabriel et al (2012): Umweltgerechtigkeit durch Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit. Eine Einführung in die Thematik und Zielsetzung dieses Buches, In: Umweltgerechtigkeit. Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit: Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektiven, S. 15-37

[3] Böhme, Christa et Al. (2023): Gemeinsam planen für eine gesunde Stadt – Empfehlungen für die Praxis, In: Umweltbundesamt Broschüren

[4] Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (2022): Die Umweltgerechte Stadt – Umweltgerechtigkeitsatlas Aktualisierung 2021/22

[5] Flächennutzung in Steglitz Zehlendorf, Amt für Statistik Berlin Brandenburg, Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf, September 2021

[6] Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (2022): Die Umweltgerechte Stadt – Umweltgerechtigkeitsatlas Aktualisierung 2021/22

[7] Gebietsflächen in Neukölln, Statistisches Jahrbuch 2020 / Amt für Statistik Berlin Brandenburg, Bezirksamt Neukölln, 31.12.2019

[8] Bericht Monitoring Soziale Stadtentwicklung Berlin 2021, In: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Bauen und Wohnen

[9] Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (2022): Die Umweltgerechte Stadt – Umweltgerechtigkeitsatlas Aktualisierung 2021/22

[10] Böhme, Christa et Al. (2023): Gemeinsam planen für eine gesunde Stadt – Empfehlungen für die Praxis, In: Umweltbundesamt Broschüren

[11] Referat für Gesundheitsberichterstattung, Epidemiologie, Gesundheitsinformationssystem, Statistikstelle, Senatsverwaltung für Wissenschaft Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Berlin (2022): Gesundheits- und Sozialstrukturatlas Berlin 2022

[12] Berliner Mietspiegel 2023, Wohnlage, In: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen

[13] Böhme, Christa et Al. (2023): Gemeinsam planen für eine gesunde Stadt – Empfehlungen für die Praxis, In: Umweltbundesamt Broschüren

[14] Pflanzenforschung, Transpiration, In: Pflanzenforschung.de, Bundesministerium für Bildung und Forschung

[15] Böhme, Christa et Al. (2023): Gemeinsam planen für eine gesunde Stadt – Empfehlungen für die Praxis, In: Umweltbundesamt Broschüren