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11. April 2022

Russischer Angriff auf die Ukraine gefährdet die „Lebensmittelsicherheit“ in der Welt

Seit Jahren warnen Expert:innen vor den Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels und der damit verbundenen Unsicherheit der Nahrungsmittelversorgung weltweit. Hitze, fehlende Niederschläge und extreme Wetterereignisse führen in vielen Ländern zu veränderten landwirtschaftlichen Anbaubedingungen, besonders der globale Wassermangel verschärft sich zunehmend. Sich an diese veränderten Bedingungen anzupassen ist schwierig und nur langsam möglich. Die Folge sind oft geringere Ernteerfolge und damit langfristig höhere Lebensmittelpreise auf den globalen Nahrungsmittelmärkten. Einkommensschwache Länder leiden darunter am stärksten. Diese Situation wird durch den aktuellen Krieg in der Ukraine nun verschärft.

Weizenexporte stark gefährdet

Russland und die Ukraine tragen einen nicht unerheblich starken Anteil an der globalen Lebensmittelversorgung. Besonders Sonnenblumenkerne, Gerste und Weizen sind essentielle Exportprodukte dieser beiden Länder. Russland steht weltweit mit mehr als 32,9 Millionen Tonnen als der größte globale Weizenexporteur an der Spitze, die Ukraine landet auf Platz 5 mit mehr 20 Millionen Tonnen.

FAO XCBS system

Viele landwirtschaftliche Produkte der Ukraine und Russland werden vor allem in sogenannte Low-Income Food-Deficit Countries, also Länder mit schwachem Einkommen und großen Nahrungsmitteldefizit exportiert. Eritrea, Kazakhstan und die Mongolei beziehen nahezu ihren gesamten Weizenbedarf aus Russland und der Ukraine. Aber auch Tanzania, Namibia, Kongo, Rwanda und Somalia importieren mehr als 50 Prozent des eigenen Weizenbedarfs aus diesen beiden Ländern.

Trade Data Monitor (TDM), FAO calculations

Die damit einhergehende Abhängigkeit dieser Länder von den Exporten aus der Ukraine und aus Russland gefährdet die Nahrungsmittelversorgung stark. Der Bedarf ist inzwischen nicht mehr gedeckt. Seit den Angriffen Russlands auf die Ukraine sind die Arbeiten in den Häfen im Schwarzen Meer praktisch zum Erliegen gekommen. Dies führt auf den globalen Lebensmittelmärkten zu einer eingeschränkten Verfügbarkeit, einer nicht gedeckten Importnachfrage und höheren internationalen Lebensmittelpreisen. Damit gefährdet Russlands Angriff auf die Ukraine nicht nur das Leben ukrainischer Bürger*innen, er kann weltweit zu schwerer Unterernährung und Hungersnöten führen.

In der Ukraine müssten jetzt die Felder bestellt werden

Arif Husain, der Chefökonom des Welternährungsprogramms zeigt sich inzwischen stark besorgt, über die globale Lebensmittelversorgung: „Ehrlich gesagt mache ich mir große Sorgen. Die Menschen in der Ukraine sind in einer desaströsen Situation und kämpfen um ihr Leben. Aber dieses Desaster wird auch Menschen jenseits der Grenzen und tausende von Kilometern entfernt schaden.“ (https://www.capradio.org/news/npr/story?storyid=1083769798)

Dabei könnte der Zeitpunkt für diesen Krieg nicht ungünstiger gewählt sein. Um diese Zeit müssten in der Ukraine die Felder mit Mais, Gerste und Sonnenblumen bestellt werden. Gleichzeitig steht im Sommer die nächste große Weizenernte an. Die meisten Menschen in der Ukraine befinden sich jedoch entweder auf der Flucht oder im Krieg. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (engl. Food and Agriculture Organization of the United Nations) schätzt, dass 20 Prozent der im Winter bepflanzten Flächen aufgrund der direkten Zerstörung, dem eingeschränkten Zugang oder fehlender wirtschaftlicher Ressourcen im Sommer nicht abgeerntet werden können. Dies könnte vor allem in der kommenden Saison zu fatalen Folgen führen.

Weizenpreise könnten sich verdoppeln

Aktuell erreichen die Weizenpreise durch die fehlenden Exporte bereits Rekordhöhen und übertreffen sogar das Preisniveau, das während der globalen Lebensmittelkrise 2007-2008 verzeichnet wurde. Damals stiegen die Weizenpreise auf Grund der gravierenden Produktionsrückgänge der führenden Erzeugerländer Australien und Russland stark an. Aus dieser globalen Lebensmittelkrise erwuchsen andere Krisen. Der Anstieg der Getreidepreise gilt unter anderem als einer der Auslöser der Aufstände des „Arabischen Frühlings“ im Nahen Osten in den Jahren 2009-2010. Die damaligen Lebensmittelpreise drängten viele Menschen im Nahen Osten an den Rand der eigenen Existenz und führten zu Massenprotesten und Reformforderungen.

Je länger der Krieg in der Ukraine also dauert, desto schwerwiegender könnten die Folgen nicht nur für Ukrainer selbst, sondern auch für die weltweite Nahrungsmittelversorgung werden. Denn wenn die Landwirte in der Ukraine nicht bald mit der Aussaat von Präparaten beginnen, befürchten Expert*innen, dass eine damit verbundene Krise der Ernährungssicherheit entstehen wird. Die Getreideproduktion in der Ukraine könnte in der kommenden Saison so stark zurückgehen, dass sich der Weizenpreis entsprechend verdoppeln oder verdreifachen wird.

Ärmere Länder am stärksten betroffen

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (UN WFP), das Getreide und Lebensmittel zur Verteilung an arme Länder liefert, kaufte im vergangenen Jahr rund 1,4 Millionen Tonnen Weizen, davon 70 Prozent aus der Ukraine und Russland. Vor der russischen Invasion in der Ukraine sah sich die Welt aufgrund niedriger Erträge in Kanada, den USA und Argentinien bereits mit einem Anstieg der Weizenpreise um 30 Prozent konfrontiert. Es wird erwartet, dass dieser jüngste Anstieg der Getreidepreise die Fähigkeit des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, Hilfe zu leisten, weiter einschränken wird. Inzwischen zeigen einige Simulationen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, das die globale Anzahl an unterernährten Menschen im Jahr 2022/23 um 8 bis 13 Millionen Menschen ansteigen könnte. Der größte Anstieg wird in den Regionen Asien-Pazifik, Subsahara-Afrika, Naher Osten und Nord-Afrika erwartet. Aufgrund extremer Hitze oder anderen starken klimatischen Bedingungen können Weizen und andere Getreidesorten in diesen Regionen nicht oder nur schwer angebaut werden. Daher importieren diese Länder Weizen aus der Ukraine und Russland.

Arif Husain betont jedoch, dass die Preise aufgrund der Vernetzung der weltweiten Rohstoffmärkte selbst in Ländern, die ihren Weizen, Mais oder andere Rohstoffe derzeit nicht direkt aus der Ukraine oder Russland beziehen, steigen werden: „Jede Unterbrechung, die irgendwo in der Nahrungskette auftritt, wird definitiv anderswo Auswirkungen haben“, sagt Husain (https://www.capradio.org/news/npr/story?storyid=1083769798).

Zum Report der Vereinten Nationen:

Autoren: Sami Celtikoglu, Carolin Glahe, Ulrike Dietrich, Jonas Rüffer