UfU Informationen | Ausgabe 6 – Oktober 2022 | Louisa Hantsche, Maike Reichert
Krieg vs. Natur
Wie die Umwelt im humanitären Völkerrecht (kaum) geschützt wird
Im Krieg kann die Umwelt sowohl Opfer als auch Täter sein und immense Schäden erleiden bzw. anrichten. Im humanitären Völkerrecht finden sich daher zahlreiche Bestimmungen, die auf einen direkten und indirekten Umweltschutz abzielen und die Nutzung natürlicher Ressourcen während bewaffneter Konflikte regeln. In der Praxis erweisen sie sich jedoch als wenig effektiv und scheitern nicht zuletzt an ihrer mangelhaften rechtlichen Durchsetzbarkeit. Ein Überblick.
Dass Kriege schädlich für die Umwelt sind, ist seit jeher bekannt und wird auch im aktuellen Ukrainekrieg deutlich. Bereits in der Bibel wird gemahnt, die Natur bei Eroberungskämpfen unversehrt zu lassen.1
Doch bis in die 1970er Jahre hinein existierten im humanitären Völkerrecht – dem Teil des Kriegsrechts, der die Ausführung des bewaffneten Konflikts regulieren soll – lediglich mittelbar schützende Abkommen, wie beispielsweise die Petersburger Erklärung von 1868, in der zwar der Begriff „Umwelt“ nicht vorkommt, aber durch welche zumindest eine Umweltkriegsführung implizit ausgeschlossen wurde. Gleiches gilt für die UN-Völkermordkonvention von 1948, die eine „vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“ verbietet.2
Erst mit Ende des Vietnamkriegs (1975) begriff die internationale Staatengemeinschaft die Notwendigkeit eigener Umweltbestimmungen für den bewaffneten Konflikt. Vor allem der flächendeckende Einsatz von ökologischen Kampfmitteln, wie dem Herbizid „Agent Orange“ und die gezielte Manipulation der Umwelt für militärische Zwecke durch die USA führte zu unvergleichlichen Umweltzerstörungen, deren Folgen noch bis heute andauern.
Die Environmental Modification Convention (ENMOD) & das erste Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen (ZP I)
1977 stellte die Abrüstungskommission der UNO schließlich das „Übereinkommen über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken“ (kurz ENMOD für Environmental Modification Convention) vor.
Wie der Titel bereits erahnen lässt, zielt die Konvention jedoch nicht darauf ab, die Umwelt vor Kriegseinwirkungen zu schützen. Es soll vielmehr verhindert werden, dass die Umwelt selbst als potenzielle „Waffe“ missbraucht wird. Darunter fallen bewusste Umweltmanipulationen, die zur Änderung der Dynamik, der Zusammensetzung oder der Struktur der Erde führen und dadurch beispielsweise Erdbeben, Flutwellen oder Änderungen von Wetter- und Klimastrukturen hervorrufen.3
Ergänzt wurde ENMOD durch das „Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte“ (Zusatzprotokoll I, kurz ZP I). Das Zusatzprotokoll spricht der Umwelt erstmals einen Eigenwert zu, der in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gesundheit und dem Überleben der Bevölkerung steht. Auch unabhängig von potentiellen Folgen für die Bevölkerung, ist bei der Kriegführung darauf zu achten, dass die natürliche Umwelt vor ausgedehnten, langanhaltenden und schweren Schäden geschützt wird, Art. 35 Nr. 3. und 55 Abs. 1 ZP I. Die natürliche Umwelt darf kein direktes oder indirektes militärisches Ziel sein.
Beide Abkommen (ENMOD & ZP I) traten 1978 in Kraft. Doch die Umweltbilanz der seitdem geführten Kriege sieht nach wie vor fatal aus. Ein Beispiel: Der Irak ist Vertragspartei des Zusatzprotokolls. Das hielt den damaligen Machthaber Saddam Hussein jedoch nicht davon ab, im Golfkrieg von 1990/1991 hunderte kuwaitische Ölquellen gezielt zu zerstören und anzünden sowie Unmengen an Öl ins Meer leiten zu lassen. Zwar zahlte der Irak umgerechnet 46,3 Milliarden Euro Reparationen an Kuwait4, die „schlimmste von Menschen verursachten Umweltkatastrophe aller Zeiten“5 macht dies jedoch nicht ungeschehen.
Regelungen sind zu weit gefasst und ungenau
Dass sich Vertragsparteien bewusst über die Bestimmungen von Konventionen hinwegsetzen, kann nie ausgeschlossen werden und wäre in der Geschichte nichts Neues. Problematisch wird es allerdings, wenn die Regelungen selbst zu unbestimmt sind und damit einen großen Spielraum für potentiell umweltschädigende Kriegshandlungen geben. Dies ist sowohl bei ZP I, als auch bei ENMOD der Fall.
So ist es zwar zu begrüßen, dass das Zusatzprotokoll grundsätzlich weit gefasst ist und alle möglichen Arten von Umweltzerstörungen verbietet. Doch gleichzeitig wird seine Wirkung durch besonders hohe Anwendungsschwellen stark eingeschränkt. Selbst wenn ein Umweltschaden vorliegt, so muss dieser „ausgedehnt, langanhaltend und schwer“ sein. Anders als in ENMOD, wo nur eins der drei Kriterien gefordert wird und diese in sog. „understandings“ konkretisiert werden, müssen für die Anwendung des Zusatzprotokolls alle Voraussetzungen in vollem Umfang gegeben sein. Was das bedeutet, ist nicht klar geregelt, doch es wird davon ausgegangen, dass ein Areal von tausend oder mehr Quadratkilometern über Jahrzehnte vollständig zerstört sein muss, damit es zum Anwendungsfall kommt.6 Kurzum: die Bestimmung gilt nur bei extremen Umweltkatastrophen, die das Ausmaß des Golfkrieges sogar noch übertreffen. Da Atomwaffen ohnehin vom Abkommen ausgenommen sind und Kernkraftwerke den besonderen Schutzbestimmungen aus Art. 56 ZP I unterliegen, ist die Anwendungsmöglichkeit des Zusatzprotokolls extrem limitiert. Aktuell könnte die Bestimmung allerdings dann relevant werden, wenn Russland eine gezielte Bombardierung der zahlreichen Chemiefabriken und Industrieanlagen starten sollte, die in der Ostukraine flächendeckend angesiedelt sind.7 Nach ersten Einschätzungen von „Truth Hounds“, einer Organisation von Menschenrechtsexperten, die den Krieg in der Ukraine dokumentiert und analysiert, haben sich bereits einige solcher Vorfälle ereignet, die unter den Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls fallen und langfristig sogar als Kriegsverbrechen gegen die Umwelt (siehe nächster Abschnitt) eingestuft werden könnten. Dazu gehören insbesondere der Beschuss der Kokerei von Avdiivka, die Angriffe auf das „Azot“-Chemiewerk in Sjewjerodonezk und auf die Ölraffinerie von Lyssytschansk, welche zu mehrtägigen Bränden führten.7
Im Ukrainekrieg zeigen sich noch weitere Unsicherheiten des Zusatzprotokolls: Zwar werden Staudämme, Deiche und Atomkraftwerke durch Art. 56 Abs. 1 S. 1 ZP I besonders geschützt. Doch dieser Schutz endet für Kernkraftwerke, sobald sie Elektrizität zur „regelmäßigen, bedeutenden und unmittelbaren Unterstützung von Kriegshandlungen liefern“ und der „Angriff das einzige praktisch mögliche Mittel ist, um diese Unterstützung zu beenden.“ Atomkraftwerke, wie das kürzlich von Russland bei Saporischschja besetzte9, können also als legitime militärische Ziele eingestuft werden. Zwar werden hohe Ansprüche an die Rechtfertigung von etwaigen Kampfhandlungen gesetzt und sind verboten, sobald sie schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung verursachen können. Doch besteht aufgrund der generellen Unwägbarkeiten im Krieg immer ein Risiko, dass selbst präzise geplante Angriffe, die den Spielraum des Abkommens ausnutzen und grundsätzlich nicht verboten sind, missglücken.
Ähnliches gilt für den Anwendungsbereich der ENMOD-Konvention, wonach die Umweltmanipulation in feindseliger Absicht gegen einen anderen Vertragsstaat herbeigeführt worden sein muss. Im Nachhinein ist kaum feststellbar und noch schwieriger nachweisbar, ob eine Militäraktion die Anwendungsschwelle von ENMOD erfüllt oder ob es sich „lediglich“ um Kollateralschäden moderner Kriegsführung handelt. Die verbotenen umweltverändernden Techniken werden im Hinblick auf real geführte Kriege als derart exotisch eingeschätzt, dass sie nur selten Anwendung finden. Zweck des Abkommens sei gemäß Experten nicht der Schutz der Umwelt, sondern der Schutz einer gegnerischen Partei vor Schädigungen. Von einer „Umweltschutzkonvention“ könne man hier also nicht sprechen.10
Die UN-Waffenkonvention & das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes
Vor ähnlich hohen Anwendbarkeitshürden stehen auch die UN-Waffenkonvention und das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes. Die UN-Waffenkonvention aus dem Jahr 1980 erscheint im ersten Moment vielversprechend, da sie neue Waffen berücksichtigt und konkrete Umweltbezüge herstellt. Doch aus dem in der Präambel erwähnten Verbot von Umweltschädigungen kann keinerlei rechtliche Verbindlichkeit abgeleitet werden. Auch der in Protokoll 3 genannte Schutz von Wäldern oder anderen Arten pflanzlicher Bodenbedeckung vor Angriffen mit Brandwaffen (z.B. Flammenwerfer oder Napalm-Bomben) kann mit Verweis auf eine etwaige militärische Notwendigkeit ausgehebelt werden. Solche Ausnahmen gelten, wenn bspw. die Gegebenheiten der Natur dazu verwendet werden, Kombattanten oder andere militärische Ziele zu decken, zu verbergen oder zu tarnen, vgl. Protokoll 3 des Abkommens.
Im Römischen Statut von 1998 haben sich die unterzeichnenden Staaten dazu verpflichtet, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht ungestraft zu lassen. Auch gezielte Angriffe auf die Umwelt können gem. Art. 8 Abs. 2 (b) Nr. (iv) Kriegsverbrechen sein und vor dem Internationalen Strafgerichtshof in den Haag verfolgt werden. Dabei gelten dieselben restriktiven Voraussetzungen wie bei den zuvor genannten Schadenskriterien im Zusatzprotokoll. Es wurde sogar dieselbe Formulierung gewählt und die Anwendungshürden noch deutlich erweitert: selbst wenn die Voraussetzungen erfüllt sind und ein extremer Umweltschaden vorliegt, gilt ein solcher Angriff erst dann als Kriegsverbrechen, wenn er eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht.
Es braucht neue niedrigschwellige Regelungen
Das humanitäre Völkerrecht verbietet grundsätzlich umweltschädigende Kriege. Doch selbst vier einschlägige Abkommen schaffen es nicht, ausreichende Anwendungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten anzubieten, da nur extreme Umweltschäden darunterfallen. Auch das allgemeine Umweltvölkerrecht bietet in bewaffneten Konflikten keine eindeutigen Regelungsmöglichkeiten, um die Schutzlücken zu schließen.
Krieg bedeutet immer Ausnahmezustand. Dieser Ausnahmezustand zieht unsere Ökosysteme jedoch in starke Mitleidenschaft. Umweltschutz muss deshalb auch im Kriegsrecht eine deutlich stärkere Rolle spielen. Es bedarf neuer, niedrigschwelliger Regelungen, die bereits im Vorfeld von Kampfhandlungen spezielle präventive Schutzmaßnahmen zulassen. Weiterhin muss verbindlich festgelegt werden, wie und durch wen die konkrete Schadensbeseitigung erfolgen soll.
Ein erster Vorstoß hierzu kann in den „Prinzipien zum Schutz der Umwelt in Bezug auf bewaffnete Konflikte“ der UN-Völkerrechtskommission gesehen werden. Deren Entwurfsform, die sog. „draft principles“ sind in der 73. Sitzung der Völkerrechtskommission, die bis Anfang August 2022 stattfand, in zweiter Lesung angenommen worden. Als Nebenorgan der UN-Generalversammlung fördert die Völkerrechtskommission die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts und dessen Kodifizierung11. Die insgesamt 27 Prinzipienentwürfe werden nach Einarbeitung der Kommentierungen an die UN-Generalversammlung12 weitergeleitet, die über das Schicksal der Prinzipien entscheiden wird. Ziel der Prinzipen sollen Maßnahmen zur Verhinderung, Eindämmung und Beseitigung von Umweltschäden sein, die vor, während und nach bewaffneten Konflikten sowie während einer Besetzung Geltung finden.13 Anders als im ZP I wird in den Prinzipien nicht zwischen internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten differenziert, wodurch diese auch auf umweltrelevantes Verhalten von nicht-staatlichen bewaffneten Akteuren Anwendung finden würden.14 Prinzipienentwurf 13 Absatz 2 übernimmt aber auch hier den Wortlaut und damit die hohe Anwendungsschwelle von Art. 35 Abs. 3 und Art. 55 Abs. 1 ZP I, sodass ein Umweltschaden auch nach den Prinzipien „ausgedehnt, langfristig und schwer“ sein muss. Die Arbeit der Völkerrechtskommission liegt hier im Ergebnis also weniger in der Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts. Durch das Ansehen, dass die Völkerrechtskommission als Nebenorgan der UN-Generalversammlung in der internationalen Rechtsgemeinschaft genießt, besteht jedoch die Chance, eine kontroverse Diskussion über die Schwächen der bestehenden Regelungen in der Fachöffentlichkeit und vielleicht sogar der allgemeinen Öffentlichkeit zu entfachen.15 Dies wird hoffentlich auch neue verbindliche Regelungen anstoßen.
Quellenverzeichnis:
- Lutherbibel 2017, 5. Mose, 20.
- Art. II Nr. c des Übereinkommens vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.
- Art. 2 ENMOD sowie dem Vertragstext beigegebene „understandings“.
- Zeit Online (2021), Irak hat alle Entschädigungszahlungen aus dem Golfkrieg geleistet
- Omar, Gulf War
- Vgl. CCD Doc. CDDH/215/Rev.1, Absatz 27; Sandoz (Anm. 259), S. 415 ff.
- Anne Fock (2022), Atomkraft als zulässiges militärisches Ziel?, Legal Tribune Online
- Truth Hounds, NED (2021), Donbas Evironment: Invisible Front – Environmental consequences of the war in the East of Ukraine in the context of international humanitarian law and in the practical dimension
- WDR (2022), Kampf ums Atomkraftwerk Saporischschja: Was wir bisher wissen
- Wolfgang Lohbeck (2005), Umwelt und bewaffneter Konflikt: Dilemma ohne Ausweg?
- Article 1 (1) Statute of the International Law Commission
- Report of the International Law Commission A/77/10, chapter V. C.
- Report of the International Law Commission A/77/10, a. a. O., chapter V. E. 2, Principle 1 and 2.
- Report of the International Law Commission A/77/10, a. a. O., chapter V. E. 2, Principle 1, commentary (2).
- Anna Dienelt, Stefan Oetel (2021), Die Prinzipien der UN Völkerrechtskommission zu „Schutz der Umwelt in Bezug auf bewaffnete Konflikte“ – Eine Erweiterung des Schutzes der Umwelt ohne Änderung des humanitären Völkerrechts?