16. Oktober 2023

Die Bundesregierung möchte mit dem Entwurf eines fünften Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (5. VwVfGÄndG) die Corona-Notstandsregeln zur digitalen Öffentlichkeitsbeteiligung in dauerhaftes Recht übertragen. Die Regeln wurden im Zuge der Pandemie eingeführt, um Planungsverfahren von Infrastruktur in Deutschland und auch die damit verbundene Öffentlichkeitsbeteiligung in Zeiten von Lockdown weiterhin durchführen zu können. Der neue Entwurf soll die damals getroffenen Regeln nun in dauerhaftes Recht übertragen.

Der Entwurf wird der grundlegenden Herausforderung, die Öffentlichkeitsbeteiligung im digitalen Raum sicherzustellen, aus Sicht des UfU nicht gerecht. Etablierte Verfahrensstandards, die in der analogen Öffentlichkeitsbeteiligung noch festgeschrieben waren, drohen im aktuellen Entwurf zur Überführung in den digitalen Raum zu erodieren, insbesondere wird der Erörterungstermin unzulänglich in die digitale Ära transferiert. Das liegt mitnichten daran, dass Öffentlichkeitsbeteiligung im digitalen Raum nicht möglich ist oder zwangsweise eine schlechtere Qualität aufweisen muss, als wenn beispielsweise Erörterungstermine vor Ort stattfinden. Vielmehr ist das Fehlen einer mutigen Gesetzgebung dafür verantwortlich, dass die digitale Öffentlichkeitsbeteiligung weder praxisgerecht noch zeitgemäß ausgestaltet wird.

Um die Position des UfU und die Sicht von Umweltverbänden auf dieses Thema zu erläutern, wurde unser UfU Mitarbeiter Tom Grünberger (geb. Witschas) am Montag, den 16. Oktober 2023 zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat zum Digitalisierungsschub in der Verwaltung eingeladen. Das UfU hat sich in einer Stellungnahme zu dem geplanten Gesetzesentwurf geäußert.

Das UfU setzt sich seit Jahrzehnten für gute Öffentlichkeitsbeteiligung ein. Aus unserer Sicht sind drei Punkte besonders relevant:

  1. Die Notwendigkeit eines guten Gesetzes zur Regelung von digitaler Öffentlichkeitsbeteiligung
    Digitale Öffentlichkeitsbeteiligung ist heutzutage ein zentrales Instrument für demokratische Teilhabe. Möchten wir wichtige Transformationen, wie den Umbau der Energienetze, in unserem Land nicht an der Gesellschaft vorbei vollführen, müssen Menschen einbezogen werden. Es gibt zahlreiche Studien die belegen, dass die Akzeptanz von Infrastruktur für beispielsweise Windkraftanlagen in Kommunen wächst, wenn diese vorher in die Planung mit einbezogen wurden. Ein Studie des UfU belegt außerdem, dass der qualitative Umweltnutzen von Infrastrukturvorhaben steigt, wenn Bürger*innen beteiligt werden. Im Jahr 2023 ist es selbstverständlich, dass diese Beteiligung auch digital möglich sein muss. Wir fordern deswegen die Verabschiedung eines eigenen Gesetzes für digitale Öffentlichkeitsbeteiligung. Der BUND und NABU haben im Frühjahr diesen Jahres dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vom UfU ausgearbeitet wurde.
  2. Im aktuellen Entwurf werden für die digitale Öffentlichkeitsbeteiligung insbesondere für eine Durchführung des Erörterungstermins per Videokonferenz zu hohe Hürden angesetzt. Der bereits vorhandene Werkzeugkasten für digitale Öffentlichkeitsbeteiligung wird im Gesetzesentwurf nicht ansatzweise ausgeschöpft. Das gilt besonders für hybride Erörterungstermine, die in diesem Entwurf überhaupt nicht vorgesehen sind. Aufgrund dieser Hürden wird fast immer nur ein Onlinekonsultationsverfahren angesetzt, bei welchem es keinen Austausch mehr zwischen den Beteiligten gibt. Das Onlinekonsultationsverfahren ist lediglich ein indirektes schriftliches Verfahren. Erörterungstermine und Beteiligung leben aber vom direkten Austausch der Planungskommission mit den beteiligten Einwandgebern. Dieser direkte Austausch vor Ort oder im digitalen Fall per Videokonferenz gibt Bürger*innen die Sicherheit, auch tatsächlich mit ihren Einwänden angehört zu werden und so an Planungsprozessen beteiligt zu werden. Ein schriftliches Einreichen von Einwänden, ohne die Sicherheit, dass diese tatsächlich gelesen und in die Entscheidung mit einbezogen werden, ist keine Beteiligung der Öffentlichkeit.
  3. Im Gesetzesentwurf sind keine Regelungen für die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung enthalten. Obwohl alle Beteiligten, sogar die Behörden, frühe Öffentlichkeitsbeteiligung als hilfreich und sinnvoll erachten, findet sie im Gesetzesentwurf aktuell keinen Platz. Es liegt auf der Hand, dass eine frühe Beteiligung von Bürger*innen noch in der Planungsphase geringeres Konfliktpotential für das gesamte Projekt beinhalten und so auch langjährige Rechtsstreitigkeiten zu einem späteren Zeitpunkt reduzieren.

 

Die vollständige Anhörung kann unter diesem Link angeschaut werden: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw42-pa-inneres-verwaltungsverfahren-971150