UfU Informationen | Ausgabe 4 – Dezember 2021 | Fachgebiet Umweltrecht & Partizipation
Alles im Fluss in der Ukraine
Ein gemeinsamer Weg zu naturnahen kleinen Gewässern
Eine neues Assoziierungsabkommen
September 2017 – Das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine tritt vollständig in Kraft. Als Assoziierungsabkommen wird ein völkerrechtlicher Vertrag bezeichnet, durch welchen Staaten miteinander unterschiedliche Verpflichtungen eingehen, meist handelsbezogen. Durch das Wegfallen von Handelsbarrieren, durch kulturellen Austausch und verstärkten politischen Dialog, sollen die gemeinsame Zusammenarbeit und die Steigerung des Wohlstands beider Vertragspartner sichergestellt werden.
Die Europäische Union hat bereits zahlreiche solcher Abkommen geschlossen, unter anderem als Vorstufe zum EU-Beitritt für bestimmte Länder. Auch mit der Ukraine wurde verhandelt und 2014 ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet. Die EU und die Ukraine nähern sich dadurch nicht nur wirtschaftlich durch eine Freihandelszone an. Die Ukraine möchte auf Basis einer tieferen politischen Integration auch einige relevante Gesetze und Richtlinien der EU übernehmen, um gemeinsame Werte zu betonen. Dies soll für die Gebiete Umweltschutz, soziale Entwicklung, Verkehr, Verbraucherschutz und einige weitere gelten.
Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
Im Bereich des Umweltschutzes bedeutet das Abkommen für die Ukraine konkret: Sie übernimmt diverse umweltbezogene Richtlinien der EU und setzt diese im eigenen Land um. Dabei wird auch auf die Unterstützung der Europäischen Union gesetzt. Oft kommen dabei NGOs, wie das UfU zum Einsatz.
Im Bereich der Wasserpolitik soll die Ukraine sechs EU Direktiven implementieren. Eine davon ist die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Die WRRL setzt auf einen ökologisch ausgerichteten ganzheitlichen Gewässerschutz, regelt die Bewirtschaftung der Gewässer und hat das Ziel, alle Gewässer in einen guten oder sehr guten ökologischen Zustand zu bringen. Anders gesagt bedeutet dies, die Ukraine verpflichtet sich mit dem Assoziierungsabkommen dazu, die Qualität der eigenen Gewässer zu verbessern und sie in einen ökologisch gesunden Zustand zu bringen. Keine einfache Aufgabe.
Die Herausforderung
Die Umsetzung europäischer Richtlinien ist nicht zu unterschätzen. An anderer Stelle in dieser Zeitschrift berichten wir über komplexe technokratische Vorgaben der EU bezüglich des Zugangs zu Gerichten. Die WRRL ist eine nicht minder komplexe Richtlinie, welche genaue Kenntnis der Rechtsmaterie und Erfahrung in der Umsetzung dieser erfordert.
Die ukrainischen Behörden stehen dementsprechend vor der Herausforderung, diese europäischen Richtlinien in die eigene Verwaltung zu integrieren. Dabei kommt noch hinzu, dass die Verwaltung in der Ukraine seit 2014 eine umfassende Dezentralisierungsreform durchführt, welche kommunalen Ebenen neue Kompetenzen zuweist und bis jetzt noch nicht abgeschlossen ist. Insofern haben ukrainische Behörden aktuell die schwierige Aufgabe, die eigene Verwaltung neu zu strukturieren und gleichzeitig komplexe EU-Richtlinien umzusetzen. Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie an sich, als auch die Vielzahl der vorbereitend durchzuführenden Tätigkeiten – etwa zur Datenerhebung – sind daher ohne externe Unterstützung schwer realisierbar.
Das UfU leistet in der Ukraine in dem vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit geförderten Projekt „Kapazitätsbildung für das Wassermanagement auf lokaler Ebene in ausgewählten Regionen der Ukraine“ die erforderliche Unterstützungsarbeit für lokale Entscheidungsträger*innen in ukrainischen Behörden und der Zivilgesellschaft. Langfristig sollen durch das Projekt die Kapazitäten für das eigenständige Wassermanagement nach EU-Vorgaben geschaffen werden.
Kleine und große Gewässer
Oftmals werden bei der Umsetzung solcher Richtlinien kleine Gewässer vernachlässigt, wie es auch die Erfahrungen in Moldawien gezeigt haben. In der Ukraine legen die Behörden ebenfalls den Fokus meist auf die großen Hauptgewässer und Flusseinzugsgebiete und versuchen die Richtlinie dort umzusetzen. Das liegt nicht nur daran, dass kleine Gewässer weniger bekannt sind und einen geringeren wirtschaftlichen Nutzen aufweisen, sondern dass man sich bei der Umsetzung solcher Richtlinien an kleinen Gewässern teilweise mit ganz anderen Problemen konfrontiert sieht, als bei großen. Zentrale Probleme von kleineren Fließgewässern in der Projektregion sind, dass sie besonders anfällig für den Klimawandel sind und zudem unter Abwassereinleitungen, illegalen Deponien und nicht nachhaltiger Landnutzung leiden. So verstärken beispielsweise übermäßige Waldrodungen oder landwirtschaftliche Aktivitäten die negativen Auswirkungen auf die Flüsse, insbesondere Trinkwasserknappheit und Ernteverluste während Dürreperioden oder Wassererosion während Starkregenereignissen.
Es ist jedoch wichtig, bei Wasserschutzmaßnahmen auch diese kleinen Gewässer zu berücksichtigen. Da sie die großen Flüsse mit Wasser versorgen, bestimmt ihr Zustand jenen der großen. Darüber hinaus haben sie eine Vielzahl wichtiger Funktionen: Sie sind Lebens- und Rückzugsraum für Flora und Fauna, Freizeit- und Erholungsraum für Menschen, sie wirken sich positiv auf das Mikroklima aus, gliedern und verbinden Landschaft und Biotope und bilden natürliche Hochwasserrückhalteflächen. In ihrer Gesamtheit haben sie also direkte Auswirkungen auf den Zustand und die Lebensbedingungen im gesamten Flussnetz.
Das Projekt
Das UfU startete 2019 das neue Projekt Kapazitätsbildung für das Wassermanagement auf lokaler Ebene in ausgewählten Regionen der Ukraine gemeinsam mit den Partnern Eco-Tiras, Ecological Club Kray und Black Sea Women‘s Club.
Phase 1—Grundlagen erarbeiten
In Phase 1 hat sich das UfU mit seinen ukrainischen Partner*innen auf die Erstellung eines Leitfadens über die Bewirtschaftung kleiner Flussgebietseinheiten konzentriert, welcher sich an lokale Behörden, die Zivilgesellschaft und die interessierte Öffentlichkeit richtet. Dieser gibt einerseits einen Überblick über die Grundlagen des Wassermanagements nach der WRRL, die Ausgangssituation in der Ukraine und die rechtlichen Verantwortungen nach ukrainischem Wassergesetz und der WRRL. Andererseits gibt der Leitfaden konkrete Empfehlungen für das Management kleiner Flussgebietseinheiten in den Zielregionen und präsentiert Best-Practice-Beispiele aus der Ukraine. In Absprache mit ukrainischen Entscheidungsträger*innen lag ein Fokus des Leitfadens auf Empfehlungen zur Errichtung von Wasserwirtschaftsräten, d.h. beratende und koordinierende Gremien auf dem Gebiet der einzelnen (Teil-)Einzugsgebiete, für die Entwicklung und Übernahme von Empfehlungen für eine optimale Wasserbewirtschaftung.
Phase 2 – Ingenieurbiologische Maßnahmen
Ende 2020 begann die zweite Phase des Projekts. Aufgrund von geäußertem Bedarf während der Projektworkshops in Phase 1, konzentriert sich das UfU in dieser Phase vor Allem auf Empfehlungen zu naturnahen Maßnahmen, die mit geringem Kostenaufwand direkt an Flüssen umgesetzt werden können und nachweislich die Qualität verbessern. Dazu zählen vor Allem ingenieurbiologische Maßnahmen. Dabei handelt es sich um naturnahe Bauweisen mit vorwiegend natürlich gewachsenen Materialien. Im konkreten Fall der Fließgewässer sind dies zum Beispiel Maßnahmen, die künstlich begradigten Flüssen wieder eine natürlich gewundene Form geben. Ein anderes Beispiel ist das gezielte Anbringen von lebendem und totem Pflanzenmaterial zur Uferbefestigung. Solche Maßnahmen stellen ein Werkzeug für das Erreichen des ökologisch guten Zustands der Gewässer, wie es die WRRL fordert, dar. Denn ein zentraler Baustein zur Verwirklichung dieses Ziels ist die Wiederherstellung (potentiell) natürlicher Gewässerstrukturen durch eine naturnahe Gewässerentwicklung, wofür sich die Ingenieurbiolgie anbietet.
Im Projekt werden daher eine Reihe von Online- und Vor-Ort-Workshops in der Ukraine zu solchen Maßnahmen abgehalten und eine Handreichung über ingenieurbiologische Bauweisen für die Gewässerunterhaltung erstellt.
Das Projekt wird im Frühjahr 2022 offiziell mit einem Abschlussworkshop und einem partizipativen Praxisworkshop zur Umsetzung einer ingenieurbiologischen Maßnahme an einem kleinen Fluss in der Ukraine abgeschlossen.
Bedeutung des Projekts
Der Gewässerschutz ist ein essentieller Bestandteil des Umweltschutzes. Die Biodiversität in Fließgewässern ist maßgeblich durch die Wasserqualität und -quantität beeinflusst. Gleichzeitig stellen die Gewässer die Trinkwasserversorgung sicher. Dabei steigt der Aufbereitungsaufwand für sauberes Trinkwasser mit dem Sinken der Qualität dieser Fließgewässer. Auch in Deutschland belastet der beispielsweise hohe Nitratgehalt unsere Gewässer und muss in energieaufwändigen Verfahren aus dem Wasser entfernt werden, bevor dieses trinkbar wird.
Das Projekt dient außerdem der länderübergreifenden Zusammenarbeit. Die Flüsse der Ukraine münden teilweise in die Donau, die Weichsel und in die Ostsee. Es liegt im gemeinsamen Interesse aller, Fließgewässer zu schützen, denn diese machen an Ländergrenzen nicht halt.